The line is never quite obedient
Mit Werken von Jacqueline Hen, Toni Meyer, Philipp Naujoks, Lara Werth, kuratiert von Aileen Treusch für Cartier Northern Europe, ehemalige Schalterhalle der Commerzbank, Frankfurt (Neue Kaiser), Juli 2023.
In der denkmalgeschützten Schalterhalle des 1904 errichteten Gebäudes mit ihren Marmorsäulen findet die Oper Frankfurt eine neue Probe- und Spielstätte. Für die nächste Saison ab September 2023 sind hier über 100 Veranstaltungen geplant. Bereits jetzt ist die neu aufblühende Location namens „Neue Kaiser“ an der Ecke von Kaiserstraße und Neue Mainzer Straße ein neuer Austragungsort von Kunst- und Kulturveranstaltungen in der Innenstadt. Als international anerkanntes Traditionsunternehmen, dessen Ursprünge über den gleichnamigen Gründervater Louis-François Cartier in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht, hat Cartier an diesem besonderen Ort am vergangenen Mittwoch zu einem Ereignis an der Schnittstelle zwischen Architektur, Kunst und Kultur eingeladen.
Wie lassen sich Atmosphären (von Städten) bildlich einfangen? Welcher Dramaturgie folgt die zweite Natur des Menschen? Wer oder was sind ihre Held:innen und Protagonist:innen? „Für Cartier sind der künstlerische und kulturelle Dialog eine bedeutende Inspirationsquelle, der seit jeher eine wichtige Rolle im kreativen Schöpfungsprozess der Maison spielt. Die Dialoge sind dem Wunsch nach einer effektiveren Verbreitung von Ideen und Kenntnissen aus der einzigartigen Sichtweise von Künstler:innen und Kulturexpert:innen entsprungen.“
Die Gruppenausstellung vereinte zeitgenössische Positionen aus Köln, München und Düsseldorf. Allen Werken gemein ist die Auseinandersetzung mit äußeren Bauformen, die mit und gegen Gesetzmäßigkeiten innerer Strukturen wirken. Qua verschiedener Strategien werden Fragen zum Verhältnis von Mensch, Architektur und Kultur skizziert.
Liste ausgestellter Werke
Jacqueline Hen – One‘s sunset is another one‘s sunrise
Eine Ikonographie der Sonne als Quelle des Lichts lässt sich der von der Antike bis in die Gegenwart nachzeichnen. Seit jeher prägt sie als Symbol, Personifizierung oder Naturphänomen künstlerisches Schaffen. Im Zusammenspiel mit Architektur treten ikonische Stadtkulissen zutage – inszenieren sich Hochhausschluchten und Skylines von Großstädten. Die Arbeit der Kölner Künstlerin Jacqueline Hen thematisiert den globalen Blick auf die Sonne, die weder auf- noch untegeht und selbst bei Nacht scheint. Dabei setzt sie sich mit der Gleichzeitigkeit von Realitäten auseinander undführt uns die komplexen emotionalen Beziehungen zu unserer Welt vor Augen. „Für alle „geht die Sonne im Osten auf“ doch bewegt sie sich durch die unterschiedlichsten Wirklichkeiten. Teilen wir uns einen Planeten, so leben wir doch in ganz unterschiedlichen Welten. Die Herausforderung ist es diese Pluralität wertzuschätzen.
Toni Meyer – Collage City Portraits
Toni Meyer zieht es in große Städte. Als still fotografierende Beobachterin lässt sie sich in ihnen treiben, um deren Akteur*innen, Temperaturen, Architekturen, Landmarken und Ränder, Fenster, Straßenschönheiten, Bewegungsmuster, Psychogramme, Codes und Dresscodes im Anschluss so zu dokumentieren, wie man zu träumen pflegt: Szenen collagierend und produzierend, die sich irgen wie echt anfühlen und die zu bleibenden Eindrücken werden, indem jene in der Realität gemachten eigenartig zitiert, umarrangiert, überzeichnet, grob umrissen, verklärt, unterschlagen, erfunden, ersehnt werden. Wer also das Gefühl der Großstadt-Sehnsucht kennt, der wird schnell süchtig nach Toni Meyers City Collagen. Warum, liegt wohl auf der Hand: “Life is just a party, and parties weren’t meant to last.“
Philipp Naujoks
Die Gemälde von Philipp Naujoks, meist in klassischer Ei-Tempera gemalt, durchziehen an manchen Stellen dunkle Striche, die wie eingebrannt wirken. Sie entstehen in einem originellen Verfahren, das für Naujoks zur üblichen Malpraxis geworden ist. Er bepinselt dafür in einer Dunkelkammer den Malgrund mit einem fotosensitiven Präparat, und beschießt ihn dann mit einem Laser. Solche Laser baut Naujoks selbst mit Dioden aus der Automobilindustrie, aus Lasercuttern und Beamern zusammen. Beim Malen funktionieren sie wie eine optische Linse: Wird das Material nur kurz beschossen, mit weitem Abstand, wirkt das Bild weich- gezeichnet; je länger belichtet wird und je geringer der Abstand vom Träger, desto schärfer und dunkler das erzeugte Bild. Ist die Bestrahlung zu intensiv, kann der Träger sogar verbrennen. In seine jüngsten Arbeit mit dem Titel „Ö“ verdichtet sich das Licht zu glanzvoll bronze- oder silberfarbenen Linien. Bei genauerem Betrachten lassen sich auch hier Brandlöcher oder die für Naujoks so typischen Partikel auf dem Leinwandstoff erkennen, die seine Werke mal stärke oder schwächer mit einem galaktisch anmutendem Glanz zu durchdringen scheinen.
Lara Werth
Lara Werth (*1996 in Bonn) lebt und arbeitet in Düsseldorf. Gegenstand ihrer Arbeiten sind menschenleere Wimmelbilder dystopischer Stadträume, die mit Edding und Tusche auf großformatigem Papier entstehen. Diese detaillierten und unendlich kleinteiligen Zeichnungen zeugen von chaotischen Stadtansichten und fragilen Gleichgewichten urbaner (Sub)Kulturen – jedes noch so kleine Detail scheint wie aus dem echten Leben gegriffen. In diese urbane Textur bestehend aus Häusern, Stromleitungen, Fightclubs, Trinkhallen, umherfliegenden Bahngleisen und schwebenden Hängebrücken paaren sich Natursze- nen von fließenden Wasseradern und exotischen Tieren. In Werths Arbeitsprozess finden sich persönliche Eindrücke ihrer jahrelangen Reisen als Leistungssportlerin wieder. Neben Ihrer Arbeit als Künstlerin ist sie professionelle Kampfsportlerin und hält Titel im Full-Muay-Thai sowie im Fullcontact Kickboxing.